Wenn Beziehungen scheitern

Man denkt, es wäre für immer! Die Liebe ist groß und alles rosarot. Die Probleme sehen bewältigbar aus und beide sind motiviert, an sich zu arbeiten. Denken, sie könnten den anderen bestimmt ändern. Ihn zähmen und erziehen und gegen alle Unkenrufe von außen eine tolle Beziehung voller Liebe führen.

Und dann kommt das echte Leben. Charaktere prallen aufeinander und es wird deutlich: so einfach ändert es sich nicht. Manche Dinge sind so wie sie sind! Egal wie viel Liebe man hineinsteckt. Dazu kommt Stress von außen. Jobwechsel, eine neue Wohnung. Weniger Zeit, dünnere Wände, genervte Nachbarn. Das Leben wird anstrengend. Die Liebe ist noch da, doch die Probleme überschatten das ganze Zusammensein. Bis es endlich raus ist: Das wird nichts mehr mit uns beiden! Zu unterschiedlich sind die Ansichten, zu unterschiedlich die Bedürfnisse und zu schwer ist es, das alles in die Lebensumstände zu integrieren. Tränen fließen und beide fühlen sich wie die letzten Versager. So können Beziehungen ausgehen. Glücklich bis an ihr Lebensende ist eben nicht immer die Realität. Solange man nicht im Märchenwald wohnt zumindest ...

Und genau diese Fälle kenne ich auch und möchte sie aus den Schatten holen. Geschichten von traurigen Menschen und unpassenden Konstellationen.
Zu mir kommen die, die Hilfe suchen. Auch deswegen l
rne ich die Fälle nicht kennen, in denen es sich Leute zu leicht machen und den Hund wie einen Deko Gegenstand kaufen und verkaufen.
Ich kenne diese Fälle auch nicht privat.
Wer zu mir kommt, ist bereit, Zeit und Geld zu investieren, um etwas zu retten, was manchmal einfach nicht zu retten ist. Selten, aber leider möglich.
Ich selbst habe nur erlebt, wie sehr Menschen darunter leiden, wenn es nicht klappt und wie schwer das Loslassen fallen kann.

Dieser Text wird etwas länger.
Ich schreibe ihn für die Menschen, die ich begleitet habe und vielleicht findet sich der ein oder andere darin wieder.


Mein erster Abgabehund
Ich nenne ihn einfach mal Karo.
Natürlich heißen alle Hunde in diesen Erzählungen in Wirklichkeit anders, aber ihre Geschichten sind echt.
Karo war ein Rüde, vier Jahre alt und einer Rasse zugehörig, die ganz schön speziell ist. Viele Vertreter dieser Rasse gehören eher in die Kategorie „Liebhaberstück“.
Karo war ein tschechischer Wolfhund.
Die Besitzer hatten eine gut laufende Firma mit einer Werkstatt. Ihre Hunde durften schon immer mit zur Arbeit kommen und führten ein buntes Hundeleben auf dem Hof und in der Werkstatt, mit vielen Kontakten.
Karos Menschen hatten immer Schäferhunde und waren begeistert vom wirklich nett ausfallenden Nachbarshund, ein Tscheche, der vollkommen aus der Art schlug. Er war leichtführig und einfach zu erziehen und seine Leute hatten geringe Ansprüche an ihn.
Was man von außen natürlich nicht sah:
Dass er in einem extra Zimmer wohnte, ohne Möbel zum Zerkauen und mit einem so großen Grundstück, dass sein wolfsartiges Geheule in der Nacht niemanden störte.

So wurde Karo geholt, von derselben Züchterin wie der beliebte Rassevertreter von nebenan.

Es gab täglich Spaziergänge und am Wochenende ausgedehnte Wanderausflüge.
Frau und Mann standen mitten im Leben, waren patent und hundeerfahren und hatten sich gut über die Rasse informiert. Bei Züchtern und in Foren von Fans dieser Rasse.

Karo wurde mit sehr viel Bedacht gewählt, von der Züchterin höchstpersönlich ausgesucht und angepasst und mit Liebe aufgezogen.
Welpengruppe, Hundetraining, Sozialisierung und eine Menge Zeit wurde für ihn aufgebracht.
Bereits als Welpe zeigte sich Karo uninteressiert an fremden Menschen, wollte sich nicht streicheln lassen und machte lieber sein eigenes Ding.
Erstmal nicht so schlimm. Wenn aus dem welpenhaften Desinteresse nicht eine ausgewachsene Ablehnung gegenüber fremden Menschen und Hunden entstanden wäre. Trotz all der Hundekontakte und Mühen konnte Karo innerhalb von ein paar Wochen mit Anschub seiner Pubertät nicht mehr mit fremden Hunden zusammenkommen. Bei Hündinnen war er nur prollig, Rüden griff er immer vehementer an und machte schon bald die ersten Löcher im Kampf gegen einen anderen Rüden. Es gab großen Ärger, viele Beratungen und es wurde eine Hundetrainerin aufgesucht.
Diese empfahl eine Kastration und die Fütterung von Hundekeksen, wenn sich ein anderer Hund näherte.
Das Resultat war ein Desaster.
Mit seinem Futter als Schatz im Hintergrund näherte sich ein freundlicher, kastrierter Rüde ohne Leine. Früher wäre so ein Kastrat keine Angriffsfläche gewesen, seit der Kastration biss Karo aber Rüden genauso wie Hündinnen und Kastraten.
Um die raschelnde Futtertüte zu verteidigen, stürzte er sich so auf den anderen Hund, dass er Frauchen die Leine aus der Hand riss und verpasste dem anderen mehrere blutige Risse im Pelz, die beim Tierarzt aufwendig versorgt werden mussten.
Von da an führte seine Besitzerin Karo mit Maulkorb. Etwas was sie nie wollte. Es war ihr unangenehm, ständig musste sie Fragen beantworten, Anfeindungen ertragen. Mütter zogen hektisch ihre Kinder an der Hand zu sich und sagten: „komm schnell her, der Hund ist böse!“ Karo biss jeden … nur keine Kinder. Er fand Kinder zu belanglos, um sie zurechtzuweisen.
Erwachsene dagegen waren sein Beuteschema.
Früher nur Männer. Seit der Kastration auch immer öfter Frauen.

Freilauf in der Werkstatt wurde undenkbar. Ausflüge an den Elbstrand am Wochenende waren keine Option mehr. Zu groß die Gefahr, dass andere Hunde unangeleint angelaufen kommen. Karo konnte selbst mit Maulkorb Schaden anrichten, der für eine Anzeige gereicht hätte.
Schön blöd, wenn man mitten in Hamburg wohnt. Jedes Rausgehen war ein Spießrutenlauf. An jeder Ecke gab es Hunde.
Spaziergengehen konnte Karo nun nur noch einmal am Tag.

Während sie vorher zu dritt die Mittagspause dafür genutzt hatten, mussten sie sich nun aufteilen, da man mit dem Hund erstmal eine halbe Stunde mit dem Auto aus der Stadt fahren musste, um in Sicherheit gehen zu können. Zeitdruck, Genervtheit, plötzliche Pflichtveranstaltung. Spazierengehen wurde zur Strafe und im Büro bleiben zur Belohnung für die Besitzer.

Natürlich waren sie zwischendurch beim Hundetrainer. Die Züchterin wurde besucht, zeigte Tricks und erklärte was zu tun sei. Es half nichts.
Das Training baute auf Unterordnung. Von nun an wurde auf dem Schäferhundeplatz das „Fuss!“ bis zum Erbrechen geübt. Nach monatelangem Frust kam die nächste Trainerin. Apportieren und Auslasten war ihre Devise. Karo apportierte leidlich, biss aber weiterhin mit Enthusiasmus.
Es folgten Anzeigen, mehr Angst, mehr Druck und von den Trainern immer wieder der versteckte oder offene Vorwurf: Wieso hast Du Dir so einen Hund geholt?

Als ich Karo kennenlernte, waren die Besitzer fertig mit den Nerven. Beide gestresst, voller Schuldgefühle und Scham. Beim ersten gemeinsamen Spaziergang reagierte sie gekonnt und durchsetzungsstark, trotzdem ruhig und klar. In ihr brodelte es aber. Sie tat alles, was sinnvoll und verantwortungsvoll war. Beide liebten den Hund. Waren sie zu dritt, dann war alles gut.

Schon bald wurde klar, dass Karo unter diesen Umständen nur mit großer Einschränkung zu halten war. Wir konnten ein bisschen am Verhalten modifizieren, etwas erleichtern, bessere Maßnahmen absprechen. Aber es blieb ein Leben voller Einschränkungen und Stress für beide.
Als ich sie fragte, ob es mal im Raum stand den Hund abzugeben, weinte sie eine Viertelstunde ohne Pause. Als sie wieder zu Luft kam sagte sie, dass das das erste Mal war, dass sie das jemand gefragt hätte. Sie habe sich geschämt, mir davon zu erzählen. Der erste Hundetrainer hat sie derart rund gemacht, als sie andeutete, dass der Hund vielleicht woanders besser aufgehoben wäre, dass sie es nicht mehr gewagt hatte, diesen Gedanken auszusprechen. Die letzte Hundetrainerin hatte schon präventiv gewettert, dass sie jetzt bloß nicht auf die Idee kommen sollte, den armen Hund abzugeben, immerhin hätte sie diese Verantwortung übernommen und jetzt müsse sie es auch durchziehen.

Wir haben viel hin und her überlegt, was denkbar ist und wie ein gemeinsames Leben aussehen könnte.
Als sie sich für eine Abgabe entschlossen, weinten beide sehr.

Der neue Besitzer hatte bereits mehrere Hunde dieser Rasse. Er war es sogar gewohnt, sie voneinander getrennt zu halten. Mit einer seiner Hündinnen verstand sich Karo gut und schon bald lebte er mit ihr zusammen auf einem großen Gartenstück. Mit den anderen beiden kam er immerhin gut genug klar, um gemeinsam spazieren zu gehen. Nach kurzer Zeit konnte er mit allen Hunden zusammen im Garten und im Haus leben. Der neue Besitzer war deutlich schlimmeres gewohnt und geübt in Management und Kontrolle. Er wohnte auf dem Land und hatte viele Möglichkeiten. Außerdem liebte er diese Rasse sehr und mochte auch ihre etwas kompliziertere Seite. So ein bisschen Beißen konnte ihn nicht schrecken.

Innerhalb von ein paar Wochen trat auf allen Seiten Entspannung ein. Karo blühte sichtbar auf. Erst jetzt merkte man, wie sehr auch er unter dem Druck und Stress seiner Menschen gelitten hatte. Er blieb ein bissiger Hund, aber in seinem neuen Leben war das egal.

Die Menschen haben sich anfangs Vorwürfe gemacht. Sie hielten sich für derart unfähig, dass sie nie wieder einen Hund haben wollten. Nach fast 30 Jahren gemeinsamer Hundehaltung und einem einzigen Hund, der nicht gepasst hat. Nach ein paar Tagen kam die Erleichterung. Das Leben wurde wieder übersichtlicher und erst jetzt wurde klar, wie sehr die Probleme mit dem Hund alles vereinnahmt hatten. Auf wie viele Bereiche im Leben es Einfluss genommen hatte. Ich weiß nicht, ob die Menschen sich überwinden konnten, irgendwann einen neuen Hund aufzunehmen - ich hoffe es sehr, denn bei ihnen hatten Hunde ein tolles Zuhause.

Mein zweiter Fall
Als ich angerufen wurde, weil Uschi aus dem Ruder lief, dachte ich schon am Telefon: Die Stimme klingt aber resolut.
Hamburger Humor, aufgeweckt und sehr reflektiert.
Bei meiner Ankunft erfuhr ich, dass die Dame bereits über siebzig war. Immer schon hatte sie Bernhardiner gehabt. Alle waren erstklassig erzogen, Hundetraining hätte sie selbst geben können. Mit über siebzig Jahren nahm sie das erste Mal im Leben die Hilfe einer Hundetrainerin in Anspruch.
Wir saßen auf ihrer Terrasse. Uschi war an der gusseisernen Bank angebunden, die zusätzlich im Boden verschraubt war.
Die Schrauben kamen, nachdem Uschi mitsamt der Gartenbank über den 1,20 Meter hohen Zaun gesprungen war, um im Nachbarsgarten die Nachbarskatze zu jagen. Danach sah dort alles aus wie ein Schlachtfeld. Wie Frauchen es geschafft hatte, hinterher über den Zaun zu springen, den gewaltigen Bernhardiner am Schlafittchen festzuhalten und über den Zaun zurückzuwuchten, die Gartenbank hinterher zu werfen und den aufgeregten Hund ins Haus zu zerren, ist mir bis heute ein Rätsel. Diese Frau hatte mehr Power als manch eine zwanzigjährige.
Uschi war wirklich lieb. Sie war zauberhaft fröhlich und voller Tatendrang. Und im Gegensatz zu anderen Bernhardinern war sie derart fit und agil, dass sie rennen, springen und toben konnte.
Das tat sie auch.
In der Blüte ihrer Pubertät und mit genauso vielen Kilos ausgestattet, wie ihre Besitzerin mit Lebensjahren machte sie das, was junge Hunde so tun. Dieser Hund war für seine Rasse wirklich ungewöhnlich aktiv und bewegungsfreudig, das hätte niemand ahnen können.

Frauchen erzählte mir, dass dies ihr letzter Bernhardiner werden sollte. Sie hatte sich lange Gedanken gemacht, ob es nochmal diese Rasse wird. Ein Pudel wäre die nächste Wahl, wenn sie mal alt ist … aber dafür hatte sie sich noch nicht bereit gefühlt. Sie hatte alles, was man braucht, um einem Bernhardiner ein gutes Leben zu geben. Einfach alles war darauf ausgerichtet und ihre Erfahrung und Sachverstand wurden nur noch von ihrer bemerkenswerten Jugendlichkeit getoppt.
Ich konnte es verstehen. Sie war einfach noch nicht im Pudelalter.
Aber was war der Knackpunkt, wieso klappte es hier nicht mit der Erziehung?

Einerseits war dieser Hund wirklich besonders. Und dann sah und hörte ich, was sonst noch so los war.
Es gab noch einen alten Bernhardiner. Völlig unkompliziert, aber ein grauer Pflegefall. Ihr Tod war schon längst zu erwarten gewesen, aber stattdessen lebte und lebte das alte Tier und brauchte viel Pflege.
Zusätzlich war der Mann der rüstigen Dame plötzlich erkrankt. Die Diagnose war niederschmetternd und die Krankheit kurz und tödlich. Innerhalb weniger Wochen wurde ihr Mann zum Pflegefall.
Dass sie selbst in dieser Zeit eine schlimme Diagnose bekam und sich einer anstrengenden, medizinischen Behandlung unterziehen musste, wurde nebensächlich. Plötzlich brach alles um sie herum zusammen und mittendrin sprang ein übermotivierter Riesenhund mit einer Gartenbank an seiner Leine durch den Nachbarsgarten.

Sie war tough und gefasst. Sie war bereit noch mehr zu tun, noch mehr zu geben und jede übrige Sekunde neben der Palliativpflege ihrer Familienmitglieder für die Erziehung ihres Junghundes aufzubringen. Neben all der Kraft strahlte sie Wärme und Fürsorge aus und war unglaublich sanft und sympathisch.
„Darf ich das denn?“ war ihre Antwort auf die Frage, ob sie daran gedacht hat, den jungen Hund weg zu geben. Sie wirkte ernsthaft überrascht.
Sie erzählte mir, dass sie mit ein paar Freundinnen gesprochen hatte. Alle wahrscheinlich genauso tough und hemdsärmelig wie sie. „neee!“ hatten die gesagt „das darf man nicht! Wer sich einen Hund holt, der muss ihn auch behalten!“.
Klare Ansage. Kein Vorwurf, kein Groll, nur ein Glaubenssatz. Augen zu und durch.
Wir brauchten nur diese eine Stunde. Es reichte sowohl ihr als auch ihren Freundinnen, dass der Profi gesagt hatte, dass man das darf. Die Erleichterung war riesig.

Die Züchterin freute sich ein Loch in den Bauch, einen dermaßen gesunden Hund zurückzubekommen. Mit so einer Hündin züchtet es sich ganz wunderbar und gesund.
Uschi lebte mit einem ganzen Berg Bernhardiner, was sie ziemlich cool fand. Heute gibt es wahrscheinlich eine Menge auffällig gesunder Hundenachkommen von ihr in Deutschland.

Uschis Frauchen pflegte den alten Hund und ihren Mann noch bis zum Schluss.
Und dann holte sie sich Ella. Eine Labradoodle Hündin. Für einen richtigen Pudel war sie zwar noch nicht bereit, aber sie war bereit, eine Größe kleiner zu denken.
Die beiden passten super und Ella ist wie gewohnt perfekt erzogen und lebt ein Luxushundeleben bei ihrem Frauchen. So wie ich die einschätze, überlebt sie auch noch zwei bis drei Kleinpudel nach Ella. Das wünsche ich ihr sehr!

Mein drittes Erlebnis
Fanny kam als „Angsthund“ in die Familie. Das Ehepaar mit dem vierjährigen Kind hat sich lange von der Tierschutzorganisation beraten lassen und verschiedene Vorkontrollen bestanden. Es gab so gut wie keine Ansprüche an Fanny. Nur das Kind sollte sie bitte nicht beißen.

Fanny kam aus Rumänien. Süß war sie. Und auf der Straße aufgewachsen. Das Letzte, worauf Fanny Bock hatte, war ein Leben in Gefangenschaft mit Menschen.
Dass sie nicht stubenrein war, alles kaputt machte und nachts heulte war den Besitzern egal. Dass Fanny nach ein paar Tagen das Territorium für sich beanspruchte und andere Hunde attackieren wollte, war zwar irgendwie blöd, aber die Trainerin der Tierschutzorganisation meinte, dass das Angst sei und weggehen würde, wenn die Besitzer nur entspannt genug blieben.
Ja, ok, man musste für diese Entspannung Gummistiefel tragen, denn Fanny drehte sich in ihrer Wut an der Leine schon mal um und nahm das nächste Bein als Blitzableiter.
All das nahm die Familie hin, immer wenn sie sorgenvoll berichteten, wurden sie zurechtgewiesen. Der Hund müsse erstmal ankommen, das sei wahrscheinlich übertrieben und überhaupt hätte der Hund dieses Verhalten im Tierheim in Rumänien nicht gezeigt.
Dass er da auch kein eigenes Territorium zum Verteidigen hatte, kam niemanden in den Sinn.

Im Haus hatte Fanny schon ein paar Mal gebissen.
Ihr Frauchen, als diese im Flur einen Karton auf dem Boden umherschob.
Nicht dass Fanny daneben gelegen hätte. Sie war ein Zimmer weiter und wollte schlafen. Überhaupt war Fanny ziemlich mies gelaunt, wenn sie schlafen wollte.
Der Tipp der Trainerin: Leiser sein und das Wohnzimmer nicht mehr betreten, wenn der Hund schlafen möchte. Das klappte ganz gut. Bis die kleine Tochter in ihrem Zimmer spielte und dabei wohl zu laut war. Fanny flitzte aus dem Wohnzimmer, den Gang runter, ins Kinderzimmer und biss dem Kind ins Gesicht. Blut floss und noch mehr Tränen.

Von da ab hatte das Kind Angst, sich in der Wohnung zu bewegen. Es wollte das Wohnzimmer nicht mehr betreten. Die Familie war sehr bemüht, voller Verständnis, hin und her gerissen zwischen der Angst um ihr Kind und der Nachsicht für den Hund.


Die Zuständige der Tierschutzorganisation sagte am Telefon, dass das Kind sicher den Hund getreten hätte, sowas würden Kinder schließlich immer wieder tun. Kein Wunder also, dass der Hund mal schnappen würde.
Rückgabe wurde vehement abgelehnt. Es gäbe grade keine freie Pflegestelle und man sollte ein paar Wochen warten. Ein paar Wochen in Angst und voller schlechtem Gewissen dem Kind und gleichzeitig dem Hund gegenüber.

Die Entscheidung, dass Fanny nicht in diese Familie passt, fiel allen schwer. Wir sprachen mehrere Stunden, der Familienrat tagte. Über eine Woche wurde besprochen, geweint, geplant, umentschieden und noch mehr geweint.
Ich wurde dazu gerufen, weil sich herausstellte, dass die Trainerin des Vereins jetzt keine so richtige Trainerin in dem Sinne war, also weder eine Ausbildung noch eine Erlaubnis für diesen Beruf hatte, sondern eher so etwas wie eine „freie Beraterin“, die gerne mal Hundetrainerin werden wollte.
Der Verein stellte sich bis zum Ende quer und überschüttete die Familie mit Anschuldigungen. Ein Nachbar sprang auf diesen Zug mit auf und stellte sich als großen Retter da, der es schaffen würde, den Hund zu nehmen. Immerhin habe er bereits drei Hunde aus dem Tierschutz und wisse, was diese Tiere bräuchten.

Der Verein schrieb noch eine Woche später eine bitterböse Nachricht, wie unfähig die Familie wohl sei und dass sie einfach so unbedacht den Hund wieder weggegeben hätten, obwohl doch jetzt beim Nachbarn der Beweis dafür gegeben sei, dass es ganz toll klappt mit Fanny.

Als der Nachbar Fanny nur wenige Wochen später selbst resigniert abgeben musste, wurde es still. Über mehrere Monate hatte sich ein gewaltiger Stresspegel aufgebaut, der nun langsam schmelzen konnte. Das Kind wieder an Hunde heranzuführen, dürfte etwas gedauert haben.
Ich hoffe, dass die Kleine sich von dem Schrecken erholt hat. Das Ehepaar wird wohl noch etwas Zeit brauchen, bis sie sich an einen neuen Versuch wagen. Der Hund, den sie sich holen, wird es sehr gut haben bei ihnen. An wem Fanny weitervermittelt wurde, wollte der Verein nicht sagen. Ob die neuen Besitzer ihre Geschichte gehört haben, gilt es zu bezweifeln.

Diese drei Geschichten sind Stellvertreter. Ich selbst habe noch weitere dieser Art erlebt und kenne andere von Kolleg*innen. Das sind nicht alle Geschichten und es gibt auch die der Unbedarften und Unvorsichtigen.
Aber selbst da, was wäre die Lösung?
Durchziehen als Strafe?

Mein eigener Hund kommt von Kunden, die sich unbedarft einen Herdenschutzhund geholt haben. Natürlich war das naiv und unvorsichtig. Aber diese Leute waren zwanzig Jahre alt. Da ist man schon mal naiv und unvorsichtig und deswegen nicht gleich blöd für immer.
Und auch sie haben sich viele, viele Gedanken und Vorwürfe gemacht.
Sie haben viel Geld für eine Beratung bei mir zusammengekratzt, was sie wahrlich nicht übrighatten.

Sie haben im Internet gelesen, was ein Owtscharka ist.
Da stehen so Worte wie: „treuer Begleiter“ und „wachsam“.
Was soll man daraus als Laie auch ziehen? Wie soll man als Hundeanfänger darauf kommen, dass „wachsam“ heißt, dass der zehn Wochen alte Welpe erwachsene Hunde ernsthaft attackiert, die sich auf zehn Meter dem Kinderwagen annähern?
Nicht süß, sondern richtig wütend und ernst. Wie soll man aus dem „treuen Begleiter“ automatisch ableiten, dass dieser Hund nicht still alleine bleiben wird, trotz aller Bemühungen?
Und wie soll man mit zwanzig Jahren nur schlaue Entscheidungen treffen?

Über kurz oder lang wäre der Hund durch einen Beißvorfall im Tierheim gelandet, so viel steht fest.
Und wer nimmt einen bissigen, großen, schwarzen Hund aus dem Tierheim?
Richtig! Niemand!

Deswegen war es bei aller schlechten Entscheidung den Hund zu kaufen gut, ihn wieder abzugeben, solange er noch so jung war.
Obwohl es den Besitzern schwer fiel das einzusehen. Das war zumindest eine gute Entscheidung.
Es ist so einfach, schlechte Entscheidungen zu verurteilen, wenn man selbst über Wissen und Erfahrung verfügt.

Und manchmal passt es einfach nicht, so wie Susi es schrieb. Manchmal werden Hunde unter falschen Beschreibungen und Voraussetzungen vermittelt und manchmal schlagen Hunde aus der Art und sind anders als gedacht. Lebensumstände ändern sich und echte Informationen über Hunderassen zu bekommen ist gar nicht so leicht.
Manchmal suchen sich Menschen fünf Hundetrainer*innen und bekommen fünf schlechte Hundetrainer*innen, die in keinster Weise hilfreich sind.

Die Menschen, die eine gute Entscheidung für alle Beteiligten treffen, indem sie ein gutes, neues Zuhause für ihren Hund suchen, dürfen nicht unter denen leiden, die einfach unbedarft und ignorant agieren.

Bevor wir unsere Pauschalaussagen und Vorurteile raus lassen, lohnt es sich genauer zu schauen, ob das, was wir erwarten, wirklich so einfach ist. Manchmal sitzt dahinter ein sehr trauriger Mensch, der alles gegeben hat und grade seinen Hund verloren hat, weil er das Beste für ihn will.

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