„Du musst Dich auf dem Spaziergang interessant machen für Deinen Hund!“ ... Wirklich?

Der Hund geht jagen, rennt ungestüm zu anderen Hunden oder springt fremde Menschen an. Ein „Tipp“, den ich dann oft höre: „Du musst Dich eben interessant machen für Deinen Hund, damit er sich nicht langweilt und Quatsch macht!“
Das ist einer der schrecklichsten Sätze, den ich aus dem Bereich Hundeerziehung kenne. Ich habe wirklich keine Ahnung, wer dass erfunden und in die Hundemenschenwelt gebracht hat. Auf jeden Fall wird diese vermeintliche Weisheit seither auf jeder Hundewiese nachgeplappert und selbst Trainer*innen hören das und raten es völlig unreflektiert weiter.

Dass sich mir die Fußnägel hochrollen, wenn ich das höre, erklärt sich so: Hunde sind hochsoziale Lebewesen. Ihr Möglichkeiten, Freundschaften zu pflegen, zu kommunizieren und in Sozialkontakt zu treten stehen der Fähigkeit des Menschen in keiner Weise nach. Sie werten Mimik und Körpersprache differenziert aus und haben eine sogenannte Soziale Intelligenz, die genauso hoch ist wie die des Menschen.

Auch Hunde gehen Beziehungen ein und richten sich nacheinander, achten aufeinander und kennen sich. Kein Hund würde jemals auf die Idee kommen einen anderen Hund permanent ablenken zu müssen, damit der sich an ihm orientiert. Auch Menschen würden das nie tun. Erst recht nicht mit anderen, erwachsenen Menschen.

Wer würde denn auf die Idee kommen, mir zu raten: „Wenn Deine beste Freundin während Eurer gemeinsamen Spaziergänge plötzlich ständig mitten im Satz ihr Handy rauszieht, um zu telefonieren, dann musst Du nächstes Mal ohne Pause reden, damit sie keine Zeit hat, an ihr Handy zu denken! Stell ihr unaufhörlich Fragen und wenn Du merkst, dass sie abschweift, wechsel sofort das Thema, um interessant zu bleiben!“.
Würde einem nicht eher in den Sinn kommen, der Freundin einfach zu sagen, dass sie es bitte unterlassen soll zu telefonieren, während wir Zeit miteinander verbringen, einfach weil es unhöflich ist? Auch wenn wir nur zusammen spazieren gehen, ohne die ganze Zeit etwas miteinander zu machen, oder zu sprechen?
Auch Hunde beschäftigen sich auf einem gemeinsamen Spaziergang nicht pausenlos miteinander.

Oder wenn mein Mann immer fremde Frauen ansprechen und flirten würde, während er mit mir im Restaurant sitzt, wer würde mir raten: „Du musst einfach die ganze Zeit vor ihm auf und ab tanzen und ihn bei Laune halten. Wenn Du mal 5 Minuten auf dem Klo bist, ist es ja kein Wunder, wenn er direkt bei einer Anderen am Tisch sitzt!“

Wir erwarten von erwachsenen Menschen, die mit uns in engem Kontakt sind, doch auch eine gewisse Anpassung und Kooperation, ohne ständig mit einer Ablenkung um Aufmerksamkeit zu betteln.

Am meisten stört mich aber die destruktive Einstellung, dass meine pure Präsenz nichts wert sei. Dass ich ohne Zirkus und Bonbonregen kein Anrecht darauf hätte, dass sich mein Hund um mich kümmert.
Als sei ich als soziales Lebewesen und bestenfalls guter Freund des Hundes völlig egal, so lange ich nichts zu bieten habe.

Der Irrglaube, ich hätte kein Recht einzufordern, dass man meinetwegen auch mal einen anderen Hund stehen lässt und sich an meinem Bedürfnis orientiert.

Genauso wie ich viele Bedürfnisse meines Hundes erfülle (Futter, Spazierengehen, gute Liegeplätze, Kontakte, Streicheleinheiten u.s.w.) ist auch mein Hund nicht nur in der Lage auf mich Rücksicht zu nehmen, es gehört sogar zu seinem normalen, sozialem Repertoire.

Natürlich muss ich das einfordern, genauso wie ich meiner Freundin mit dem Telefon verständlich mitteilen müsste, dass sie, wenn wir gemeinsam unterwegs sind, nicht telefonieren soll. Da braucht es weder eine Ersatzbefriedigung noch eine Ablenkung vom Handy durch irgendwelche Vorführungen von mir.

Auch Hunde brauchen das nicht und es entspricht ihnen auch nicht.
Das ist nicht nur eine grundlegende Fehleinschätzung hündischer Bedürfnisse, es degradiert sowohl mich als Mensch als austauschbare Bespaßungsmaschine, als auch meinen Hund als asozialen Konsumenten unterbrechungsloser Bedürfnisbefriedigung!

Daher meine klare Meinung: Nein, Du musst Dich nicht „interessant machen“, Du bist bereits interessant und darfst aufgrund Deines Selbstwertes darauf bestehen, dass Dein Hund einfach die Dinge macht, die erlaubt sind und auch nur die.
Gehen, gucken, schnuppern, markieren, die Welt erkunden sind alles Dinge, die toll und beschäftigend sind und es braucht kein ablenkendes Trara.

Wechsel mal die Wege. Geh mal querfeldein. Gib Deinem Hund - wenn möglich - Kontakte zu anderen Hunden. Stell ihn vor Herausforderungen und mache die Spaziergänge mal anstrengend, mal entspannt, mal stressig und mal lustig und so viel es möglich ist unangeleint und frei. Lass ihn schauen, schnuppern, Erde fressen und die Nase ins Wasser stecken. Das ist eine Beschäftigung und braucht keine Zusatzbespaßung. Und Du darfst einfach nur gehen und achtsam zusammen mit Deinem Hund die schöne Welt genießen, die da in der Natur liegt und auf Euch wartet.
Viel Spaß dabei!

Dieser Text darf gerne geteilt werden. Alle Rechte daran verbleiben bei der Autorin Maren Grote!

Wenn Du Dich fragst, wie Du Deine Hundespaziergänge gestalten kannst und wie viel es braucht, um ausreichend zu sein, dann hol Dir auch den Video-Vortrag von mir „Wie viel Gassi braucht ein Hund?“ Du findest den Vortrag hier:

https://marengrote.de/produkt/wie-viel-gassi-braucht-ein-hund/


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